Prolog
Der Wind saust und kalte Luft lässt die Äste der kahlen Bäume wackeln. Am Himmel hängen dunkle Wolken, denen zuzutrauen ist, dass sie jeden Moment aufplatzen könnten. Zwei Deutsche in auffällig wetterfesten Klamotten laufen mit hochgezogenen Schultern durch die geraden und endlos scheinenden Straßen Invercargills. Suchend blicken sie sich um, denn sie sind neu in der Stadt. Gestern war ihre erste Nacht in ihrem neuen Zuhause. Zumindest für das nächste halbe Jahr…
Die ersten Schritte
Nachdem uns nach 12h Schlaf die Augen schließlich aufgingen, beschwerten sich schon unsere Mägen, da unsere letzte Mahlzeit aus einem Bonbon im Flugzeug nach Invercargill bestand. Noch unbeholfen bewegten wir uns in der Wohnung, schnappten uns die erst beste Kleidung, die aus unseren Koffern viel und wir machten uns auf den Weg in die noch feuchten Straßen.
Die Häuser waren simpel und eckig, wie man sie in Serien sieht, in denen hauptsächlich in einem Diner gedreht wird. Ab und zu quetschen sich kleine Backsteinhäuser mit süßen, aber durch den Winter ausgegrauten, Vorgärten zwischen die tristen Blöcke. Ihre Fenster waren mit buntem Glas geschmückt, welches allerdings bei diesem Wolken verhangenem Tag matt in ihren Rahmen hingen. Ich hatte mir den Weg gemerkt, den mir der Taxifahrer am vergangenen Abend beschrieb, ich musste mich nur zurückerinnern. Da wir noch keine Sim-Karten hatten, konnten wir weder das Internet im Apartment nutzen, weil man dieses mit einem Code bestätigen musste, noch hatten wir Mobile-Daten. Wir waren also auf meine Erinnerung angewiesen. Nach einer Weile blitzen leuchtete Lettern an einem großen grünen Gebäude auf: „Countdown“. Wir hatten doch tatsächlich den Supermarkt gefunden!
Langersehnte Nachrichten
Der Cappuccino floß warm meinen Hals herunter und der Schaum prickelte einen Moment noch in meiner Mundhöhle. Regen prasselte an das große Schaufenster, hinter dem sich eine breite Straße ihren Weg durch die Stadt bahnte. Vor mir auf dem Tisch standen kleine Häppchen, die unser Frühstück sein sollten. Nach dem ersten der später vielen Einkäufe, die wir im „Countdown“ verbringen werden, fanden wir ein kleines Mexikanischen Cafe, welches uns die Frau an der Supermarktkasse beschrieben hatte. Mit seinen bunt zusammen gewürfelten Möbeln, allerlei alter Dinge und den nachhaltigen Produkten, die sich in Regalen stapelten, wirkte es sehr heimelig. Tausende Nachrichten poppten auf meinem Bildschirm auf, als ich es geschafft hatte, meine Sim-Karte einzurichten. Die ersten beruhigenden Nachrichten gingen an unsere Familien und Freunde raus, die nun seit einem halben Tag nichts von uns gehört hatten, nachdem wir tausende Kilometer übers Meer geflogen waren und sie Tag und Nacht auf unsere Zwischennachrichten reagiert hatten.
Liebe geht raus
Hiermit ein riesiges Dankeschön, an alle, die unsere Reise unterstützen, uns mental zur Seite stehen, uns finanziell und mit ihrer Zeit unterstützen. Wir denken so oft an euch. An die, ohne die wir nicht hier wären und ohne die wir vielleicht auch nie studieren könnten. Danke!
Eine unverhoffte Wendung
„Nein!?“ Auf einmal winkte ich hektisch in Richtung des Fensters und versuchte die Aufmerksamkeit einer Person zu erhaschen, die Alex verpasst hatte. Entmutigt lehnte ich mich wieder in das alte Sofa zurück. „Zu spät, er hat mich nicht gesehen…“ Doch dann öffnete sich die Tür mit einem leisen klingeln und Hendrik, Alex „Game Design“- Kommilitone, kam zur Tür herein, hinter ihm, ein etwas kleinerer junger Mann. „Witzig, dass man sich so trifft“…
Nach einer kurzen Vorstellung, kleinen Förmlichkeiten und der langen Beschwerde über die Flugsituation, bekamen wir die Info, dass wir doch schneller als gedacht Kontakt zu Menschen aufnehmen werden.
Die Einführungstage fanden kurz nach unserer Ankunft statt und vereinten alle neuen internationalen Studierenden aus der ganzen Welt. Besonders häufig vertreten waren Inder und… Deutsche. Erstaunlich viele dieser Deutschen hatten sogar rote Haare, was den Durchschnitt der Deutschen Bevölkerung doch eher weniger gut beschreibt. Wir saßen also als auffällig rotköpfiger Fleck Menschen in einem großen Saal und lauschten den Neuseeländern, wie sie ihre Universität, ihr Land und ihre Regeln präsentierten. Aber auch alle Studierenden sollten sich vorstellen. Es war so spannend zu hören, dass jeder dieser Menschen seine eigene Geschichte hat und seinen Weg nach Neuseeland für genau diesen Tag gefunden hat. Einige der Deutschen kannten sich, da sie an der selben Universität studieren und sogar im selben Kurs sind, aber sehr viele andere, kannten sich nicht, obwohl sie im selben Land großgeworden sind und das ist auch selbstverständlich, aber doch sprengt das meine Kapazitäten. Zusammengefasst: Wie viele Menschen es doch auf dieser Erde gibt. Wie viele unterschiedliche Denkweisen, Kulturen und Tradition mit solch einem Semester vereint werden und wie viel Gemeinsamkeit damit geschaffen wird. Das Extreme daran ist auch noch, dass alle diese Menschen eine gemeinsame Sprache sprechen. Eine. Natürlich versteht man manche mehr oder weniger gut, alle mit ihrem ganz besonderen Akzent, aber jeder Mensch hat sich die Mühe gemacht, diese eine gemeinsame Sprache zu lernen.
Apartment 11
Zurück in Apartment 11 lernten wir unsere neue Mitbewohnerin Megan kennen. Von Tag zu Tag entdeckten wir gruselig viele Gemeinsamkeiten, die sich bis in weite Zukunft noch vermehren werden. Unter anderem hat Megan auch rote Haare, (allerdings von Gott gegeben), hat zwei Schwestern und fängt gut und gerne mal aus dem Nichts an zu singen. Außerdem nascht sie mindesten genauso viel wie wir und wir können uns gemeinsam durch Fertigtorten und die pornösesten Schokoladensorten probieren.
Unsere Wohnung ist sehr steril eingerichtet: Die Wände sind grau, sowie das Mobiliar und der gesprenkelte Teppich, der sich durch alle Räume bis auf Küche und Bäder zieht. Die Waschmaschinen sind in einem anderen Gebäude der Uni-Apartments zu finden, haben jedoch geräumige Trommeln und auch Trockner. Die Wäscheständer sind etwas speziell. Ein weißes Drahtgestell, deren einzelnen Teile man mit Ösen zusammensteckt. Diese Konstruktion sieht sehr amüsant aus, wenn man bei einem sonnigen Tag die Wäsche der Nachbarn sieht. Anscheinend sind nicht alle darauf gekommen, wie genau man diese zusammenbaut und sie stehen klapprig im Wind schwenkend vor den Balkontüren ihrer Besitzer.
Unsere Küche hat eine metallene Ablage, ein großes Spülbecken und viel Stauraum für eine dreiteilige Küchenzeile. Der Herd besteht aus zwei Platten, jedoch gibt es keinen Ofen. Diese Tatsache stellt einige Deutsche vor eine harte Probe: das Kochen ohne Ofen. (Kann man Pizza in der Mikrowelle machen?) Zum Glück hat eine der Deutschen tatsächlich einen Ofen in ihrer Wohnung, welcher nun des öfteren zum Brotbacken verwendet wird. Brot ist nämlich eine weitere Sache, die einige, mich eingeschlossen, hier vermissen. Alles ist weich und schmeckt süßlich…
Das Leben zu dritt in einem Apartment, mit Wohnküche und zwei separaten Schlafzimmern, stellt sich als recht entspannt, jedoch auch manchmal etwas kritisch heraus. Privatsphäre und Ruhe kennen die Wände leider nicht, da sie sich anfühlen wie Ausstellungsstücke, die man „bitte“ nicht zu feste anfassen sollte. Vor allem heikel wird ein Zusammenleben mit zwei Frauen, wenn sich die Hormone anpassen und man gleichzeitig Heulausbrüche und seine fünf Minuten hat. Der liebe Alex zieht sich dann lieber in unser Zimmer zurück und zeichnet – zurecht.

Um mich in unserer Wohnung etwas einzurichten, brachte ich meine Wohlfühlfaktoren aus Deutschland mit: Meine schwarz-weiß gemusterte Lieblingskaffeetasse, die Teil einer meiner liebsten Adventskalender war, meine French-Press und ein kleines Tischdeckchen, was so schrullig ist, dass ich mir zunächst nicht sich war, ob es schön oder hässlich ist. Ohne mein buntes Geschirr, meinen Kaffee und meine Deko gehe ich nirgendwo hin!
Was ich an unserem Apartment liebe ist, dass wir oft Essen teilen. Mal kochen wir zu viel und Megan kann mitessen. Manchmal kocht Megan etwas, was sie nicht mag, und wir bewahren sie davor es am Abend noch einmal essen zu müssen.
Deutschland oder Neuseeland?
Alles in allem spielt sich ein geregelter Alltag ein. Mittlerweile weiß man, wer wann Uni hat und in welchen Pausen man die ganze Wohnung für sich hat. So gerne man auch Mitmenschen hat, aber diese zwei Stunden ohne welche, sind mir sehr heilig. Natürlich kann man sich in andere Räume verziehen, für mich fühlt es sich allerdings nicht richtig an, mich in einem Schlafzimmer aufzuhalten, ohne zu schlafen. Das mochte ich als Jugendliche schon nicht, und habe immer versucht mein Zimmer so einzurichten, dass es klare Zonen im Raum gibt, die zur Entspannung, zum Schlaf oder zum Arbeiten dienen. Ich liebe es also in Köln meine kleine süße Wohnung zu haben, in der jeder Raum eine andere Bestimmung hat, und ich freue mich auch schon sehr, wieder dahin zurück zu kehren.
Ich bin sehr zwiegespalten was die Präferenzen zum Leben hier und in Deutschland angehen. Daher habe ich eine Liste angefertigt, die Pro und Pro gut wiedergibt:
Pro Deutschland
- Brot
- Privatsphäre
- Einfache Kommunikation
- Wichtige Lebensabschnitte von Familien und Freunden miterleben
- Kaum Wind
- Dusche mit Duschschlauch
- Günstiges Gemüse
- Einkauftrolli
- Meine Instrumente
- Bunte Wohnung
- Ofen
- Mein Fahrrad
- Arbeit lenkt vom Alltag ab
- Architektur
- WLAN
- Steckdosen
- Nachhaltigkeit
- Bus und Bahnverbindungen
- Waschmaschine im Haus
- Wasser richt nicht nach Chlor
Pro Neuseeland
- Mehrere Teilabgaben in der Uni
- Fürsorgliche Dozenten
- Unigebäude
- Weg zur Uni
- Andere Sprache
- Multilinguales Leben
- Riesen Bettdecke
- Dusche ohne Vorhang
- Tagesausflüge in andere Städte
- Neue Menschen
- Zeit mit Freunden
- Zeit für mich
- Supermärkte Sonntag offen
- Riesige Waschmaschine
- Trockner
- Wenig Eigentum
Danke Elena Joland auf Unsplash