Auslandssemester

Teil 1: Eine Reise durch Raum und Zeit

Kia ora! Das bedeutet „Hallo“ auf Māori, der Sprache der ersten Menschen, die Fuß auf dieses außergewöhnliche Land setzten – Neuseeland. In diesem Blog berichte ich von meinen Erfahrungen und Erlebnissen während meines Auslandssemesters in Invercargill, Neuseeland. Die folgenden acht Monate werde ich enorm viel Neues erleben, an meine Grenzen kommen und hoffentlich tiefere Bekanntschaften mit den Kiwis machen, wie sich die Neuseeländer hier nennen. Ich wünsche viel Freude beim Verfolgen meiner Spuren.

Anfang Juli 2023 machten sich einige Studierende aus Deutschland auf den Weg nach Neuseeland, um dort ihr Auslandssemester zu verbringen. Darunter sind Paula, das bin ich, und Alex (auch neuerdings bekannt unter „Ken“, aber dazu mehr in einem späteren Blogeintrag). 

(For future references: 2023 war außerdem das Jahr, indem der Film „Barbie“ mit Margot Robbie und Ryan Gosling und der anderen Margot Robby rauskam, den ich mir nächstes Wochenende ansehen werde.) 

Aviophobie und Tomatensaft

(Hier schonmal ein Dankeschön für einen langen Ohrwurm an Marc-Uwe Kling für seinen wunderbaren Zynismus)

Keine/r von uns beiden war je soweit geflogen: 18.553 km in zwei Tagen. Wie soll man sich das vorstellen? Wie dolle werden unsere Pos wehtun? Bekommen wir alle Anschlussflüge? Kommen wir lebend in Neuseeland an? All diese Fragen und noch viele mehr schwirrten seit der Zusage der Universität in unserem Kopf herum. Dazu kam der Klausurendruck und alles andere, was zur Planung der Reise notwendig war. Bei all diesem Stress, konnten wir uns gar nicht richtig freuen. Wie oft bekam man neidische Kommentare und wie toll die Zeit werden wird, aber Freude breitete sich in mir nicht aus. Ich wusste nur, wie viel Stress es mit sich bringt. 

Wenn man zu zweit fliegt, hat das Vor- und Nachteile. Man hat immer jemanden zu quatschen, kann Nachtwache halten, wenn man am Flughafen einen Powernap halten will und kann zwei verschiedene Portionen Flugzeugdosenfutter bestellen und sich somit durch die Flugzeugdosenfutterspeisekarte probieren. Nachteil ist: Man sollte dem anderen nicht erzählen, dass man vor jedem Flug Abschied vom Leben nimmt. Das macht anderen Angst. Das habe ich gelernt…  

Insgesamt waren es vier angenehme Flüge, die bis auf kurze Verwirrung in Christchurch alle reibungslos liefen. Während wir dann eng an eng zwischen älteren Paaren, Kleinkindern und Schlafenden saßen, hielten uns die zu erwartenden Mahlzeiten und die hohe Bandbreite an Serien und Filmen bei Laune. Wahrscheinlich um es meinem jüngeren Ich zu beweisen, spielte ich „Angry Birds“ durch und habe bei 90% der Level drei Sterne erreicht #weirdflexbutok. Was mich bezüglich auf das Essen etwas irritiert hat ist, dass es verhältnismäßig würzig war. So viele verschiedene Geschmäcker und Nationalitäten sind an Board und man darf natürlich nicht die „Mimimis“ und „Essichnichts“ vergessen…

Schlaf wurde auf den Flügen eher überbewertet. Runtergerechnet waren es pro Flug in etwa 1h Schlaf, sodass nach dem 11h-Flug in Melbourne jeder abwechselnd noch 1h Powernap am Flughafen machen konnte. Der Flug von Melbourne nach Christchurch war dann etwas spannender, da die Crew sehr aufgeschlossen und nahbar wirkte. Als es Stau im Gang gab und ich mindestens zwei Minuten neben dem Flugbegleiter stand, fing dieser sogar Smalltalk mit mir an. Paula und Smalltalk sind eine in der freien Natur eher weniger gesehene Beziehung, jedoch bewirkt Schlafmangel so seine Wirkung. Mein Englisch war zwar lückenhaft, jedoch waren meine Socialskills höher. Man kann wohl nicht alles haben. Durch ein kleines Kommunikationsproblem stellte sich heraus, dass ich doch nicht in Invercargill lebe, wie er angenommen hatte, sondern dass ich zum ersten Mal in Neuseeland sein werde und auch noch nie eine „Cheese roll“ gegessen habe, welche als interneres Leibgericht gelte in Southland. Mehr über die „Cheese roll“ in einem weiteren Blogeintrag. Während des Flugs mussten wir außerdem „Arrivalcards“ ausfüllen, mit denen man bestätigt, dass man keine Samen, Lebensmittel oder Waffen schmuggelt. Das entspannte mich nicht wirklich, da ich mir nicht sicher war, wie die Neuseeländer zu einem frisch geschärften Brotmesser und einem Schweizer Taschenmesser stehen. 

Am Flughafen wurden wir dann kontrolliert und wir mussten Angaben machen. Paula, nass geschwitzt mit einem unnatürlich hohen Puls, überreichte ihre Karte mit zitternden Händen dem wirklichen nett wirkendem Kontroleur. Ich beantwortete die Fragen, als würde ich lügen. Auf die Frage „habe ich Tabletten dabei“ ist mir nur alles auf Deutsch eingefallen, deswegen habe ich einfach mal „Menstrual cramps“ in den Raum geworfen, um nicht weiter drüber reden zu müssen. Alex war so clever, dass er einfach wenig der Karte ausgefüllt hat, sodass der Mann es mit ihm durchgegangen ist. Einmal musste ich kurz den Atem anhalten, weil ich plötzlich 5min in die Zukunft schauen konnte: 

Der Mann nuschelt in sein WalkiTalki und zwei Sekunden später kommen von allen Richtungen schwarz gekleidete Menschen auf uns zu gerannt, ihre großen Schäferhunde haben die Zähne gefletscht und die Ohren angelegt, Waffen werden auf uns gerichtet, alle schreien gleichzeitig Befehle, die wir nicht verstehen. Automatisch gehen wir auf die Knie und halten unseren Hände hinter den Kopf. Ich weine und rufe nur noch „I’m sorry!!! Don’t shoot“. Alex Koffer wird gewaltsam aufgerissen, 10 kg Kokain, 5 kg Gras, zwei selbstgebaute Bomben und nicht einheimische Samen fallen heraus und alle im Flughafen gehen in Deckung, werfen sich auf den Boden um der Gefahr aus dem Weg zu gehen…

Der Mann fragt Alex in einer ruhigen Stimme und mit einem kleinen Lächeln in den Mundwinkeln: Do you know the content of your bag?“ Alex antwortet:“Yes, I just didn’t understand the question.“ Der Mann hakt es für ihn ab und wünscht uns eine schöne Weiterreise. Bei der zweiten Kontrolle fragte ich dann nervös den neuen Kontrolleur, ob es erlaub sei, ein Schweizer Taschenmesser einzuführen. Die Antwort, ob ich vorhabe Schweizer aufzuschneiden, irritierte mich etwas. Als der Mann dann schmunzelte, habe auch ich den Sarkasmus verstanden und wir durften weitergehen. Vor dem letzten Kontrolleur hatte ich am meisten Angst: ein Spürhund. Es war ein kleiner Beagle, jedoch sah er in seinem Geschirr so aus, als wüsste er genau, was er tut. Auch diese Kontrolle überstanden wir ohne Probleme und ich konnte das erste Mal seit 3h wieder normal atmen. 

Vor und während des letzten Fluges von Christchurch nach Invercargill wurden Alex und ich krumplig. Wir haben es schon soweit geschafft, dass wir wirklich IN Neuseeland sind, aber wir konnten einfach nicht mehr. Das einzige, was uns etwas bei Laune hielt war, dass wir uns auf mindestens eine lange chillige Woche zum Einleben freuen konnten. Nur wir zwei und niemand anderes. Wir waren so müde, dass wir nicht mal den Inlandsflug bei Sonnenuntergang über die beschneiten Bergketten Neuseelands genießen konnten. Ich erinnere mich nur noch auszugshaft an einzelne Bilder, die beim Blinzeln entstanden sein müssen: Die orange-rote Sonne, die mit ihren weichen Kurven die gigantischen Bergzipfel berührte – Schwarz – Felder, die seltsam geometrisch angelegt waren und in der Abenddämmerung kleiner und kleiner wurden – Schwarz. Uns beiden fielen die Augen zu und wir hingen wie Schlafende im Auto mit Kopf nach unten und Spuckefaden aus den Mundwinkeln. 

Danach ging alles sehr schnell. Wir wurden mit einem Schild EBERTZ vom Flughafen abgeholt und ich durfte vorne sitzen. Vorne LINKS. Das war gruselig… Auf dem Weg hielt ich in wackligem Englisch Smalltalk über das Wetter und den Winter in Invercargill und merkte mir nebenbei den Weg zur Uni und zum Supermarkt, obwohl ich noch nicht wusste, wo überhaupt die Unterkunft sein würde. Nachdem wir auf einem Parkplatz vor schwarzen Umrissen eines kleinen Mehrappartmenthauses hielten, zeigte uns der Taxifahrer uns unsere Wohnung. Grau, klein, kalt. Doch dann öffnete sich eine Tür und eine rothaarige junge Frau stand müde und verwirrt vor uns: Megan